Eigentlich müsste ich uns ja ein frohes neues Jahr wünschen oder ein gesegnetes neues Jahr –  so sagt man das wohl in der frommen Variante, oder? 

Und natürlich wünsche ich uns das allen. 

Aber eigentlich könnte ich auch sagen: 

Neues Jahr – alter Scheiß! 

Denn irgendwie hat sich nix geändert, oder? 

Corona gibt es immer noch, fast noch mehr sogar. 

Weitere Kontaktbeschränkungen, 

hohe Inzidenzen, 

Maskenball wohin man auch blickt. 

Nicht wenige von uns sind enttäuscht und frustriert, weil wir doch irgendwie glaubten oder zumindest hofften, mit den Impfungen werde alles besser. Bei mir zumindest war das so. 

Aber: Neues Jahr, alter Scheiß!  

Was mir enorm dabei hilft mit dieser nicht endenwollenden Pandemie klarzukommen, nicht durchzudrehen und weiterhin auf Wachstumskurs zu bleiben, ganz persönlich oder als Kirche – will ich hier und heute verraten. 

Mir hilft das sogenannte Stockdale- Paradoxon. 

Hinter dem Stockdale – Paradoxon steckt die Geschichte von James Stockdale, die ich sehr  hilfreich finde und zu Beginn dieses neuen Jahres gerne erläutern möchte. 

Die Geschichte von James Stockdale 

James Stockdale war ein berühmter und letztlich hoch dekorierter Offizier der United States Navy, der während des Vietnamkriegs als ranghöchster Marineoffizier am 9. September 1965 in Gefangenschaft geriet. Und das nicht zu knapp oder nur kurz: 

Bis zum 12. Februar 1973 währte seine Gefangenschaft im Kriegsgefangenenlager „Hanoi“. Stockdale war also knapp 8 Jahre lang inhaftiert. 

Dabei war er fürchterlichen Strapazen und Demütigungen ausgesetzt und wurde regelmäßig gefoltert. Das Schlimme daran war, dass Stockdale nicht den Hauch einer Chance sah, dieser Hölle und der Tyrannei seiner Widersacher zu entkommen. Sein Leben in Hanoi war, objektiv betrachtet, nur als hoffnungslos zu bezeichnen. Unnötig zu sagen eigentlich, aber natürlich hatte weder Stockdale noch seine Kameraden irgendwelche Kriegsgefangenen-Rechte, im klassischen Sinne.  Die Aussicht darauf, Frau und Kinder jemals wiedersehen würde, war mehr als ungewiss. 

Doch – und hier wird die Geschichte interessant – Stockdale kehrte im Gegensatz vieler anderer Kriegsgefangener als Kriegsheld nach Amerika zurück. Und er rettet nicht nur sein eigenes Leben. Denn durch sein Vorbild und als Führungsfigur, rettete er auch einigen seiner Kameraden das Leben. 

Die große Frage ist, wie um alles in der Welt er das geschafft hat, oder? 

Wie hat er die Krise gemeistert? 

Und was können wir für unseren Umgang mit der Corona-Krise und den vielen anderen Krisen (die es ja auch noch gibt) von ihm lernen? 

War es vielleicht sein unerschütterlicher Optimismus, der ihm half? 

Nein, eben nicht!  

Es gibt ja zwanghafte positive Menschen, die es auch hierin übertreiben. 

Ein zwanghafter Optimist sagt sich sogar nach einer gescheiterten Beziehung: 

„Das Bett ist gar nicht leer, es ist halbvoll!“ 🙂 

Zwanghafte Optimisten reden sich alles schön: 

ihre momentane Situation, ihre Misserfolge und teilweise auch ihre Fehler. 

Aber auch der Optimismus hat seine Grenzen. 

Im Falle von Stockdale gab es unter seinen Kameraden viele, die zunächst unheimlich optimistisch waren. Sätze wie „Spätestens zu Ostern sind wir frei“ oder „Wir feiern Weihnachten daheim bei unseren Familien“ waren regelmäßig im Gefängnis zu hören. 

Aber spätestens, als die zweiten Ostern oder das 3. Weihnachtsfest in Gefangenschaft verlebt wurde, gaben auch die größten Optimisten auf. 

Stockdale erzählte später, dass es vor allem die unverbesserlichen Optimisten waren, die nach der Anfangseuphorie in ein tiefes Loch fielen, aus dem sie sich nicht mehr befreien konnten. Richtig schlimm, denn die meisten von ihnen starben in  der Gefangenschaft. Hingezogene Hoffnung macht das Herz krank, heißt es deshalb und völlig richtig n den Sprüchen Salomos. 

Genau das beobachte ich in der Coronazeit bei mir und anderen. Anfangs fand ich einen ersten Lockdown fast witzig, aber je länger die Corona-Krise dauert, desto stärker wächst auch der Frust. Und gerade jetzt am Anfang des Jahres ist das Herz vieler- auch vieler Christen so schwer und fast schon krank. 

Die Hoffnung, dass in 2022 alles vorbei ist, ist nur noch Illusion. 

Zurück zu Stockdale. 

Wenn es nicht sein Optimismus war, war es dann vielleicht der enorme Pessimismus, der Stockdale die Freiheit brachte? 

Nein, ebenso wenig. 

Im Gegensatz zu den Optimisten versperrten sich die Pessimisten von Anfang an jeden Ausweg. Weil sie von Beginn an keinen Ausweg aus der momentanen Situation sahen, gaben viele Kameraden von Stockdale tatsächlich sofort auf. 

Traurig, aber wahr: die Pessimisten verstarben frühzeitig und als erstes.

Voller Pessimismus auf die Coronasituation zu blicken, hilft also auch nicht und führt uns bestimmt nicht auf den Weg des Leben, von dem die Bibel spricht. 

Gibt es denn neben Optimismus und Pessimismus überhaupt noch einen dritten Weg? 

Ja, und das ist der von James Stockdale. 

Und aus meiner Sicht ist das auch der einzige Weg, die derzeitige Corona-Situation durchzustehen. 

Und damit auch jede andere Krise, die einen vielleicht erwartet in 2022 oder in der man immer noch ist: 

sei es eine Beziehungskrise, 

eine finanzielle Krise 

oder auch eine Gemeindekrise. 

Der Weg, den James Stockdale im Umgang mit seiner Krise gewählt hatte, wurde als das Stockdal-Paradoxon bekannt. Er selber nannte das nicht so. 

Aber Jim Collins, der Autor von „Der Weg zu den Besten“ tat es, und er  beschreibt diesen Weg auch im genannten Buch im Kontext von vorbildlichem Führungsverhalten.   

Collins beschreibt es als Paradoxon, weil es um zwei Haltungen geht, die einander eigentlich widersprechen,  hier aber dennoch miteinander verbunden werden. 

Ich glaube ja, dass die Bibel ganz bewusst voller Paradoxe und Widersprüchlichkeiten ist. Theologen nennen das manchmal die Bipolarität der Schrift. Nicht ein entweder oder führt uns durch die Krise oder weiter nach vorne, sondern ein sowohl als auch.

Die Haltung von James Stockdale tut auch uns in der Coronakriese und in jeder anderen Krise enorm gut. 

Jetzt ganz konkret: 

Beim Stockdale- Paradoxon handelt sich um nichts anderes, als darum, 

so optimistisch, wie nur möglich zu sein, aber gleichzeitig auch total  realistisch zu bleiben. 

Diese Haltung halte ich für überaus wichtig, für überlebenswichtig in dieser wie in jeder andren Krise auch.  Je länger eine Krise dauert, besonders die Coronakrise, desto kranker macht sie andernfalls. Auch viele Christen. Einige Christen, so scheint es mir, haben schon jetzt ganz seltsame Ausschläge und sondern komische Gedanken ab. 

Es geht also darum, optimistisch und realistisch zugleich zu sein. 

Stockdale selbst sagte später selbst über dieses Paradoxon: 

„Über den Glauben an ein gutes Ende – an dem du immer festhalten musst – darfst du nicht vergessen, dich mit den brutalen Tatsachen der momentanen Situation auseinanderzusetzen, so schlimm diese auch sein mögen.“ 

Zusammenfassend lässt sich dieser Gedanke so beschreiben: 

Sei immer vom guten Ende überzeugt! 

Das ist die Hoffnung, die auch uns Christen antreibt. Wir glauben ganz allgemein an ein gutes Ende. Und auch wenn es anders kommt, als gedacht, gilt doch, dass denen die Gott lieben alle Dinge zum Guten mitwirken werden. 

Sei es eine Beziehungskrise, eine finanzielle Krise, eine Gemeindekrise oder eben die Corona-Krise. 

Wir dürfen in jedem Fall positiv bleiben! 

Aber – akzeptiere jetzt die Gegenwart, auch wenn sie noch so schlimm ist! 

Heißt: Setze dir keine illusorischen Ziele, aber glaube an sie! Höre nicht auf, positiv zu denken. Der Erfolgsgedanke dahinter ist aber eher grundsätzlich zu denken – also ohne konkrete Ziele mit vielzitierter Deadline. Die Weigerung ein Enddatum zu setzen,  verhindert den Absturz und das Fallen in ein Loch, wenn die Hoffnung auf ein baldiges Ende mal wieder zerschlagen wird. 

Mit dem Stockdale- Paradoxon gehe ich mit der Haltung an diese und jede andere Krise, dass es irgendwie gut werden wird oder mir zumindest zum Besten dienen wird. 

Momentan ist es zwar nicht nicht gut und es ist auch nicht klar, wann es gut werden wird. Und bis es gut werden wird, blicke ich den brutalen oder trüben Aussichten mutig ins Gesicht. Ich weiche nicht aus und verschließe nicht die Augen. Ich mache einfach das Beste aus der Situation und versuche, es so gut zu gestalten wie irgend möglich. 

Stockdale gab fast 8 Jahre lang nicht auf. Ohne zu wissen wie lange es dauern würde, bis er wieder ein halbwegs normales Leben führen könnte hat er an dieser Schnittstelle zwischen Optimismus und Realismus täglich Lösungen für die damaligen Herausforderungen gefunden. Anstatt nur einfach Durchhalteparolen zu skandieren („Positiv bleiben!“) oder düstere Endzeitszenarien zu beschwören, entwickelte Stockdale beispielsweise kleinen Regeln, die den Zustand für ihn und seine Kameraden erträglicher machten. 

So legte er Regeln fest, die seinen Mitgefangenen helfen sollten, bestmöglich oder so lange wie möglich zu überleben. 

Eine Richtlinie zielte darauf hin, die regelmäßigen Folterungen erträglicher zu gestalten – so absurd das auch klingen mag. 

Aber aufgrund der realistischen Einschätzung, dass niemand endloses Foltern aushalten kann, entwickelte Stockdale einvernehmlich mit den anderen Insassen ein Stufensystem, das es den Gefangenen erlaubte, nach einer gewissen Zeitspanne bestimmte Geheimnisse zu verraten. Mit solchen „Teilzielen“ vor Augen waren die Torturen leichter zu ertragen. Gegen die Isolationsfolter schuf er ein Kommunikationssystem aus Klopfzeichen bestand. Einmal so wird es beschrieben, als offiziell „Schweigen“ befohlen waren, säuberten die Männer Stockdales den Hof und klopften dabei mit ihren Besen unisono „We love you“. 

Besonders das Setzen von Teilzielen in Krise scheint mir wichtig. Manches liegt außerhalb unserer Macht, ob es nun Corona, die Gemeinde, die Finanzen oder den Partner betrifft. Was aber immer geht, sind kleine Schritte, die es erträglicher machen. 

Ich will heute mal gar nicht zu praktisch werden. Denn das Stockdale -Paradoxon ist eher eine Haltung als eine Handlung. Eine Haltung, die man aber auch einüben kann und darf!  Ich finde sie extrem hilfreich in Sachen Corona, aber auch in all den anderen Herausforderungen, die ja auch im neuen Jahr noch auf uns zukommen werden. 

Das Erlernen von Haltungen finde ich sehr wichtig für das geistliche Wachstum. Gleichzeitig wird das aber oft sträflich vernachlässigt. 

Wir betonen immer die Orthodoxie – die Rechtgläubigkeit – und vermitteln uns und anderen Wissen. 

Wissen ist bestimmt wichtig. Das gilt auch für unser Handeln oder auch geistliche Routinen. Glaube ohne Werke ist tot. Aber mit Jesus zu leben und geistlich zu wachsen, hat auch viel mit unserer Haltung oder unseren inneren Haltungen zu tun. 

Mit der falschen Haltung, kann auch das richtigste Verhalten falsch sein. Wer Gott oder seinem Nächsten einen Dienst tut, nur um dadurch Ansehen zu bekommen, tut zwar das richtige – aber mit falschen Haltung ist es dennoch falsch. 

Haltung ist wichtig. Für Jesus. Aber auch damit wir in stürmischen Zeiten Haltung bewahren und die Stellung halten. 

Das Beste erwarten und mit dem Schlimmsten rechnen 

In meine Sprache übersetzt sagt mir das Stockdale- Paradoxon:  

Erwarte das Beste und rechne mit dem Schlimmsten! 

Mit dieser Haltung bestreite ich mein Leben und meine Nachfolge. Beide Haltungen sind zutiefst biblisch und gründen auf einer gesunden, biblischen Grundlage. 

In meiner Rolle als geistlicher Leiter und als Pastor erwarte ich daher 

stets das Beste, aber ich rechne gleichzeitig mit dem Schlimmsten. 

Zum Beispiel wenn ich die finanzielle Situation meiern Kirche betrachte. Ich bete, glaube und erwarte, dass Gott uns überreich versorgt. Ich bin und bleibe positiv gestimmt. Aber in der Praxis rechne ich mit dem Schlimmsten, treffe Vorkehrungen und bearbeite diesen Beriech so, als ob uns Schlimmes bevorsteht, Z.B. will ich immer sichergestellt haben, dass wir beständig ausreichend Geld auf dem Konto zu haben, um unseren Verbindlichkeiten und Gehaltszahlungen für 1 Jahr lang nachzukommen, auch wenn alle Spender abspringen würden. 

In meiner Ehe bete, glaube und erwarte ich, dass es immer besser für uns wird. Aber weil ich gleichzeitig mit dem Schlimmsten rechne, werbe ich auch nach 21 Jahren Ehe um meine Frau und schmiede in bezug auf meine Kinder, unser Eigenheim etc. Worstcase-Pläne. 

Und auch in der Corona-Krise bleibe ich positiv. Im Gegenzug zu vielen anderen glaube ich, dass wir in vielerlei Hinsicht an das anschließen können, was vor Corona Normalität im Gemeindealltag war. 

Aber auch wenn nicht oder wenn es doch noch mal 1,2 oder 5 Jahre dauert: Ich resigniere nicht, in schaue den Tatsachen ins Gesicht und werde kreative Lösungen finden oder Teilziele definieren, damit die Verlorenen gesucht und die Gefundenen zu aufgebaut werden. 

Zum Schluss 

Heute und zu Beginn des neuen Jahres mal kein Tool oder kein Ratschlag – sondern eine Frage. 

Eine Frage, die dich begleiten darf durch 2022. 

Eine Frage, die zu einer Haltung werden möchte: 

Was heißt es für dich, optimistisch zu bleiben und gleichzeitig realistisch?

Was bedeutet es 

für dein Leben mit Jesus,

 für deine Gemeinde, 

für deine Beziehung, 

für deine Finanzen 

und ja auch für dich in der Corona-Pandemie … 

das Beste zu erwarten und mit dem Schlimmsten zu rechnen?